Rotkehlchen im Briefkasten: Unerwartete Untermieter und ihre charmante Nistgewohnheit
Es ist früher Morgen, als du deine Post holen willst und plötzlich huscht ein kleiner Vogel aus deinem Briefkasten. Beim genaueren Hinsehen entdeckst du zwischen den Werbeprospekten kleine Zweige, Moos und weiche Federn – ein Rotkehlchen hat sich deinen Briefkasten als perfekten Nistplatz ausgesucht. Was zunächst wie eine niedliche Überraschung erscheint, bringt dich schnell ins Grübeln: Wie gehst du mit dieser unerwarteten Untermieterschaft um?
Rotkehlchen sind wahre Opportunisten bei der Nistplatzwahl. Diese zutraulichen Vögel mit der charakteristischen roten Brust haben sich perfekt an das Leben in menschlicher Nähe angepasst. Während ihre wilden Artgenossen bevorzugt in Baumhöhlen oder dichtem Unterholz nisten, entdecken Stadtrotkehlchen immer öfter die Vorzüge menschlicher Bauwerke. Ein Briefkasten bietet aus Vogelsicht ideale Bedingungen: geschützt vor Wind und Wetter, mit einem praktischen Ein- und Ausgang und meist in angenehmer Höhe angebracht.
Warum ausgerechnet dein Briefkasten zum Traumzuhause wird
Die Wahl des Nistplatzes folgt bei Rotkehlchen klaren Kriterien. Sie bevorzugen halbdunkle, geschützte Räume mit einem Eingang, der groß genug für sie selbst, aber zu klein für größere Räuber ist. Dein Briefkasten erfüllt diese Anforderungen perfekt. Die Schlitzöffnung ist ideal dimensioniert, das Innere bietet genügend Platz für ein kompaktes Nest und die Höhe schützt vor Bodenfeinden wie Katzen oder Mardern.
Besonders attraktiv wird der Briefkasten, wenn er sich in einer ruhigen Umgebung befindet, idealerweise mit Büschen oder Bäumen in der Nähe. Rotkehlchen sind zwar an Menschen gewöhnt, schätzen aber dennoch eine gewisse Ruhe während der Brutzeit. Ein Briefkasten am Garteneingang, umgeben von etwas Vegetation, wird daher häufiger ausgewählt als einer direkt an einer stark befahrenen Straße.
Die Bauzeit für das Nest beträgt meist nur wenige Tage. Das Weibchen trägt Moos, kleine Zweige, Gras und weiche Materialien wie Federn oder Tierhaare zusammen und formt daraus eine gemütliche Nestmulde. Während dieser Phase wirst du die Vögel häufig beim Anflug beobachten können – ein faszinierendes Schauspiel, wenn du weißt, worauf du achten musst.
Rechtliche Aspekte: Was du beachten musst
Bevor du überlegst, das Nest zu entfernen, solltest du die rechtlichen Grundlagen kennen. Alle einheimischen Vogelarten stehen unter Naturschutz, Rotkehlchen sind keine Ausnahme. Sobald das Nest genutzt wird – also Eier darin liegen oder Jungvögel schlüpfen – ist jede Störung verboten. Das Bundesnaturschutzgesetz schützt nicht nur die Vögel selbst, sondern auch ihre Fortpflanzungs- und Ruhestätten.
Eine Entfernung des Nestes während der aktiven Brutzeit kann mit empfindlichen Bußgeldern geahndet werden. Die zuständigen Naturschutzbehörden nehmen Verstöße ernst, da der Schutz der Vogelwelt ein wichtiger Baustein des Naturschutzes ist. In Ausnahmefällen können Genehmigungen erteilt werden, diese sind jedoch nur bei schwerwiegenden Gründen und meist nur außerhalb der Brutzeit möglich.
Die Brutzeit der Rotkehlchen erstreckt sich hauptsächlich von März bis Juli, mit einem Höhepunkt in den Monaten April und Mai. In dieser Zeit können bis zu drei Bruten stattfinden, jede dauert vom Nestbau bis zum Ausfliegen der Jungen etwa sechs bis acht Wochen. Die reine Brutdauer beträgt 13 bis 14 Tage, gefolgt von weiteren 12 bis 15 Tagen, in denen die Jungvögel im Nest gefüttert werden.
Praktische Lösungen für das Zusammenleben
Hat sich ein Rotkehlchen nest im Briefkasten eingerichtet, stehst du vor praktischen Herausforderungen. Die tägliche Post muss weiterhin zugestellt werden, ohne die Vögel zu stören. Hier sind bewährte Lösungsansätze, die sich in der Praxis etabliert haben.
Die einfachste Lösung ist die Installation eines zweiten Briefkastens. Diesen bringst du in ausreichender Entfernung zum besetzten Kasten an und leitest Post und Paketboten entsprechend um. Ein gut sichtbarer Hinweiszettel am alten Briefkasten verhindert, dass versehentlich Post in das Vogelnest eingeworfen wird. Formulierungen wie "Achtung: Vogelnest! Bitte neuen Briefkasten verwenden" sind meist ausreichend und verständlich.
Für eine diskretere Lösung kannst du den Briefkastenschlitz temporär verschließen, dabei aber unbedingt einen Spalt für die Vögel offenlassen. Wichtig ist, dass du nur von außen arbeitest und das Nest nicht störst. Eine durchsichtige Abdeckung mit einem vogelgerechten Zugang kann funktionieren, allerdings besteht das Risiko, dass sich die Vögel durch die Veränderung gestört fühlen und das Nest aufgeben.
Beobachtungsmöglichkeiten und Verhaltenstipps
Ein Rotkehlchen nest im Briefkasten bietet dir eine einmalige Gelegenheit zur Naturbeobachtung direkt vor deiner Haustür. Rotkehlchen sind relativ zutraulich und gewöhnen sich schnell an regelmäßige, ruhige Aktivitäten in ihrer Nähe. Dennoch solltest du einige Grundregeln beachten, um die Vögel nicht zu stressen.
Halte einen Mindestabstand von etwa zwei Metern zum Briefkasten ein und vermeide plötzliche Bewegungen oder laute Geräusche. Besonders in den ersten Tagen nach dem Schlüpfen sind die Vögel sehr störungsempfindlich. Beobachte am besten aus dem Fenster oder von einer geschützten Position aus, anstatt dich direkt vor den Briefkasten zu stellen.
Die Fütterungszeiten bieten die besten Beobachtungsmöglichkeiten. Rotkehlchen füttern ihre Jungen etwa alle 15 bis 20 Minuten, wobei beide Elternteile beteiligt sind. Du wirst feststellen, dass die Vögel erstaunlich regelmäßige Routen nehmen und sich schnell an deinen Tagesrhythmus anpassen. Gartenarbeiten oder andere Aktivitäten solltest du in dieser Zeit auf ein Minimum reduzieren.
Die Zeit nach dem Ausfliegen
Nach etwa zwei Wochen werden die Jungvögel flügge und verlassen das Nest. Auch danach können sie noch einige Tage in der Nähe bleiben und von den Eltern gefüttert werden. Erst wenn du sicher bist, dass alle Vögel das Nest endgültig verlassen haben, darfst du es entfernen und deinen Briefkasten wieder normal nutzen.
Die Reinigung des Briefkastens sollte gründlich erfolgen, da Vogelnester Parasiten wie Milben oder Flöhe beherbergen können. Verwende warmes Seifenwasser und desinfiziere anschließend mit einem milden Desinfektionsmittel. Vergiss nicht, auch die Umgebung zu reinigen, da während der Brutzeit oft Kotspuren entstehen.
Interessant ist, dass Rotkehlchen standorttreu sind und gerne zu bewährten Nistplätzen zurückkehren. Wenn der Briefkasten einmal als Nistplatz gedient hat, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass im nächsten Jahr wieder Vögel dort nisten möchten. Du solltest dir daher rechtzeitig Gedanken über präventive Maßnahmen machen, falls du eine erneute Belegung vermeiden möchtest.
Vorbeugende Maßnahmen für das nächste Jahr
Möchtest du verhindern, dass dein Briefkasten erneut als Nistplatz gewählt wird, gibt es verschiedene schonende Methoden. Der beste Zeitpunkt für solche Maßnahmen ist der späte Herbst oder frühe Winter, wenn die Brutsaison definitiv beendet ist.
Eine Verkleinerung des Briefkastenschlitzes kann effektiv sein. Rotkehlchen benötigen eine Öffnung von mindestens drei Zentimetern Durchmesser. Reduzierst du den Schlitz auf unter diese Größe, bleibt er für Post nutzbar, wird aber für Vögel unattraktiv. Allerdings musst du darauf achten, dass auch größere Briefe noch hindurchpassen.
Alternativ kannst du ein feines Gitter oder Drahtgeflecht vor dem Schlitz anbringen. Die Maschen sollten groß genug für Post, aber zu klein für Vögel sein. Diese Lösung ist besonders effektiv, da sie die ursprüngliche Funktion des Briefkastens nicht beeinträchtigt.
Ein alternativer Nistplatz als Kompromiss
Wenn du den gefiederten Besuchern nicht ganz die kalte Schulter zeigen möchtest, biete ihnen eine Alternative an. Spezielle Nistkästen für Rotkehlchen haben eine halboffene Bauweise und können in der Nähe deines Hauses aufgehängt werden. Solche Nisthilfen werden gerne angenommen und lenken die Aufmerksamkeit der Vögel von deinem Briefkasten ab.
Ein Rotkehlchen-Nistkasten sollte eine Grundfläche von etwa 12 x 12 Zentimetern haben und eine Höhe von 15 Zentimetern aufweisen. Die Vorderseite ist zur Hälfte offen, was den natürlichen Nistgewohnheiten der Art entspricht. Hänge den Kasten in einer Höhe von 1,5 bis 3 Metern auf, idealerweise geschützt durch Vegetation und mit freiem Anflug.
Das Rotkehlchen nest im Briefkasten mag zunächst für Verwirrung sorgen, bietet dir aber eine wunderbare Gelegenheit, die Natur hautnah zu erleben. Mit der richtigen Herangehensweise und etwas Geduld lässt sich diese besondere Situation meistern – und du wirst mit unvergesslichen Beobachtungen belohnt, die zeigen, wie anpassungsfähig unsere gefiederten Nachbarn sind.
